Freitag, 15. Juli 2022

Schullektüre oder: Wie wir systematisch dafür sorgen, dass ganze Generationen das Lesen hassen

Disclaimer: Ich habe nicht sonderlich viel Ahnung von dem, was ich hier schreibe und es handelt sich dabei ausschließlich um meine Meinung zu dem Thema. 

Hallo ihr Lieben. Meinem vorletzten Post war ja ziemlich eindeutig zu entnehmen, dass ich (wie ihr vermutlich auch) eine nicht geringe Menge meines bisherigen Lebens in der Schule verbracht habe. Und wie das eben so ist, hat sich in diese Zeit auch die eine oder andere Lektüre eingeschlichen. Egal ob im Deutsch- oder Englischunterricht, früher oder später passierte es immer, dass irgendein Buch gelesen wurde. In meiner Schulzeit waren das alles in allem elf Stück, von denen mir nur eins ("Krabat" von Otfried Preußler) wirklich positiv in Erinnerung geblieben ist. Der Rest ließ sich aus meiner Sicht eher irgendwo zwischen "erträglich" und "Oh Gott, wann ist es endlich vorbei" kategorisieren. An dieser Stelle möchte ich der Vollständigkeit halber einmal auflisten, um welche Bücher es sich da handelt, aber nicht jedes einzelne bewerten oder irgendwie in die genannten Kategorien aufteilen. Da wären also: 

  • "Konrad: oder Das Kind aus der Konservenbüchse" von Christine Nöstlinger
  • "Krabat" von Otfried Preußler
  • "Die Wolke" von Gudrun Pausewang
  • "Die Welle" von Morton Rhue (zweimal, einmal auf dem Gymnasium, einmal auf der Realschule)
  • Das Tagebuch der Anne Frank
  • "Hau ab, du Flasche" von Ann Ladiges
  • "Auf Wiedersehen im Cyberspace" von Gillian Cross
  • "Der Richter und sein Henker" von Friedrich Dürrenmatt
  • "Tschick" von Wolfgang Herrndorf
  • "Leben des Galilei" von Bertholt Brecht
  • "Thirteen Reasons Why" von Jay Asher
Diese Liste ist wie gesagt ohne Wertung und auch nur der Vollständigkeit halber hier eingefügt. Im Kern soll dieser Post sich darum drehen, wie vielen Leuten durch das erzwungene Lesen schlechter bis mittelmäßiger Bücher bis heute der Spaß am Lesen genommen wurde. Mich persönlich betrifft das nicht, dafür aber viele der Leute, die ich kenne. Und das ist traurig, denn lesen kann - wenn man denn die richtigen Bücher nimmt - ein wirklich schöner und entspannender Zeitvertreib sein. Genügend Leute aus meinem sozialen Kreis aber wurde durch den Zwang, diverse mittelmäßige bis schlechte Bücher in der Schule lesen zu müssen sämtlicher Spaß am Lesen ziemlich effektiv ausgetrieben. Und ich kann es verstehen. Wenn ich nicht schon seit ich lesen gelernt habe damit angefangen hätte, alles zu verschlingen, was mich annähernd interessiert hat, dann würde es mir vermutlich ähnlich gehen. Da ich aber mit dem Mindset "Lesen ist toll" in die weiterführende Schule und damit die Zeit der Lektüren gestartet bin, haben diese Bücher lediglich meine Motivation zu lesen ein wenig gedämpft, anstatt sie völlig zu torpedieren.

So oder so habe ich, wie dieser Blog vielleicht ab und an aufzeigen mag, eine gewisse Affinität zum geschriebenen Wort. Das hat allerdings nicht wirklich dafür gesorgt, dass ich an solch literarischen Meisterwerken wie "Auf Wiedersehen im Cyberspace", welches seinerzeit völlig zurecht für 1 Cent gebraucht auf Amazon zu erstehen war, mehr Freude hatte als andere, die zu dessen Konsum genötigt wurden. Die allermeisten meiner Klassenkameraden haben schlichtweg direkt darauf verzichtet, die entsprechenden Bücher zu lesen und haben sich, wenn überhaupt, ein paar Tage vor der entsprechenden Klassenarbeit eine Zusammenfassung der Geschichte, der Charaktere und deren Entwicklung im Internet gesucht. Die meisten allerdings, ausgehend von meiner Erfahrung, haben die eine Arbeit im Jahr einfach als zu vernachlässigen betrachtet, irgendwelchen Mist hingeschrieben und die erwartete 4 kassiert. Ich habe bei beinahe allen oben genannten Büchern zu den wenigen gehört, die das jeweilige Machwerk komplett gelesen haben und war zusätzlich dazu meistens der einzige Vertreter meines Geschlechts, der das getan hat. Und warum? Ich glaube, die Antwort darauf ist zweigteilt. 

Zum einen habe ich, wie bereits oben geschrieben, eine gewisse Zuneigung zu auf Papier gedruckten Wörtern. Zum anderen, in direktem Zusammenhang damit stehend, habe ich eben schon in meiner Grundschulzeit viel und gerne gelesen, was natürlich dazu geführt hat, dass ich in der Lage war und bin, verhältnismäßig schnell zu lesen. Das bedeutete natürlich entsprechend, dass es für mich keine die gesamte Ferienzeit ausfüllende Aufgabe war, wenn der Lehrer sagte "Lest dieses Buch mit 200 Seiten bitte über die zwei Wochen Herbst/Osterferien". Wenn das Buch zumindest halbwegs gut lesbar war, habe ich das die meiste Zeit so oder so schon getan, bevor die Ferien überhaupt anfingen. Ansonsten habe ich mich eben hingesetzt und meistens das erste Ferienwochenende damit verbracht, mich durch die entsprechende Publikation zu arbeiten und dabei gelegentlich zu denken "Was für eine Zeitverschwendung, du könntest jetzt auch ein vernünftiges Buch lesen". 

Kein Wunder also, dass diejenigen aus meiner Klasse, die eh nicht sonderlich viel lasen keine Lust dazu hatten, eine langweilige Geschichte zu lesen, für deren Konsum sie auch noch einen wesentlichen Teil ihrer Freizeit hätten opfern müssen. Und an diesem Punkt kommen wir zu der Idee, die vor einiger Zeit in meinem Hirn aufkeimte: 
Wieso lassen wir unsere Schüler nicht vernünftige, spannende Bücher lesen? Bücher, bei denen die Motivation zum lesen von ganz alleine kommt, weil die Geschichte so einnehmend ist, dass man ganz von sich aus wissen möchte, wie es weiter geht. Noch dazu eventuell sogar Bücher, deren Charaktere so gut geschrieben und ausgearbeitet sind, dass es eventuell sogar Spaß macht und ganz leicht von der Hand geht, Charakterisierungen zu schreiben, anstatt eine elende Quälerei zu sein. Und auch, wenn das alles Geschmackssache ist, so glaube ich doch, halbwegs objektiv sagen zu können, dass beispielsweise eben genanntes "Auf Wiedersehen im Cyberspace" oder eben auch "Hau ab, du Flasche" keine guten Bücher sind. Die Geschichten sind sterbenslangweilig, teilweise vorhersehbar und haben nur einen einzigen Zweck, nämlich dem Leser (gar nicht mal so) unterschwellig mitzuteilen, dass Suchtmittel echt nicht so cool sind. Ich weiß nicht, wie es mit euch ist, aber ich persönlich kann unterschwellige Erziehungsversuche nicht sonderlich gut leiden, erst recht nicht, wenn sie ungefähr so unterschwellig wie der örtliche Honda Civic Tuner sind, der mit seinem 125 dB Auspuff nachts im ersten Gang durch alle Wohnsiedlungen ballert, um den Leuten unterschwellig mitzuteilen, was für ein tolles Auto er hat. 

Aber ich schweife ab. 

Um zum Thema zurückzukommen: Mir stellt sich grundlegend die Frage, weshalb es scheinbar nicht möglich ist, zumindest halbwegs brauchbare Bücher im Schulunterricht zu lesen. Bevor ich mich allerdings daran gemacht habe, meinen ehemaligen Lehrern Vorwürfe über ihre Buchauswahl zu machen, hab ich meinen bereits im letzten Post erwähnten ehemaligen Geschichtslehrer Mark gefragt. Neben Geschichte unterrichtet der nämlich auch noch Englisch und hat folglich Erfahrung mit der Auswahl von Lektüren. An dieser Stelle sei hier einfach mal seine Antwort zitiert, die mir zumindest teilweise meine Vermutung bestätigt hat: 

"Also im Grunde gibt es einen Lehrplan für das Land und dann einen schulinternen Lehrplan. In dem schulinternen Lehrplan werden vom Kollegium Themen und auch Bücher besprochen und für die Jahrgangsstufen beschlossen.
Natürlich habe ich als Lehrer freie Hand, aber wenn eine Konferenz für alle Klassen eines Jahrgangs ein Buch nehmen wollen, muss sich jeder Kollege, wenn er nicht Stress haben möchte, daran halten.
Habe ich einen solchen Beschluss nicht (schulintern) muss ich gucken, was das Land sagt.
Aber dann habe ich viel Freiheit. Das Grundthema muss halt passen.
Ich kann, wenn Shakespeare verlangt wird NICHT Orwell machen."

Natürlich bezieht sich diese Antwort nur auf Nordrhein-Westfalen, da ich auch nur dort zur weiterführenden Schule gegangen bin und Mark dort unterrichtet. Aber dennoch sehe im eben meine Vermutung, dass die Lehrer eine gewisse Freiheit in der Auswahl der Lektüre haben, wie gesagt bestätigt. Trotzdem will ich hier nicht alleine den Lehrer die Schuld geben, denn es ist zu bedenken, dass es einen meistens recht beträchtlichen Altersunterscheid zwischen Schüler und Lehrer gibt und folglich Ansichten, Geschmäcker und eben auch Meinungen zu Büchern an beiden Enden dieser Kette verschieden sind. So habe ich beispielsweise, seit ich etwas älter geworden bin, einige der üblichen Schullektüren höherer Klassen gelesen, unter anderem George Orwells "1984", J.D. Salingers "The Catcher in the Rye" und Harper Lees "To Kill a Mockingbird". Jedes davon hat mir gut gefallen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das, als ich vor acht Jahren an der gymnasialen Oberstufe war, die ich letzten Endes zu Gunsten meiner Ausbildung abgebrochen habe, genauso gewesen wäre. Ich würde gerne ja sagen, aber damit würde ich mein 17/18 Jahre altes Ich vermutlich geistig reifer darstellen, als es tatsächlich war. 

Aber eben genau das muss man irgendwo bei der Auswahl einer Lektüre beachten. Die Gehirne von Lehrern und Schülern befinden sich eben auf einem unterschiedlichen Entwicklungsstand und entsprechend sind die Prioritäten und Interessen anders verteilt. Alles, was mich während meiner Realschulzeit beispielsweise interessiert hat, war WoW, meine Freunde und Musik im Allgemeinen und Nirvana im Speziellen. Und während alle diese Dinge mich auch heute noch interessieren, sind mit den Jahren und der Reife eben auch andere Sachen dazugekommen, die das Interesse an anderen Geschichten mit sich brachten. Und genau hier setzt jetzt meine Kritik an den Lehrern an, die ich in den entsprechenden Fächern hatte: Man kann eben nicht erwarten, dass Schüler begeistert davon sind, eine Geschichte zu lesen, die absolut nicht ihrem Interesse entspricht. Und allgemein wird die Begeisterung auch nicht dadurch größer, dass man die Schüler dazu "zwingt", diese Geschichte zu lesen. 

Natürlich kann ich irgendwo auch die andere Seite verstehen. Lehrer sind auch nur Menschen und sich einfach daran zu halten, jedes Jahr "Die Welle" zu lesen, wofür man eben schon eine gut ausgearbeitete Unterrichtseinheit hat, ist schlicht weniger Aufwand, als jedes Jahr ein anderes Buch zu lesen. Davon abgesehen unterstelle ich hier jetzt mal, dass an der Stelle auch ein wenig das Prinzip "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht" gilt und man sich deshalb lieber an die althergebrachten Sachen hält, anstatt neues auszuprobieren. Und das ist im Prinzip ja auch nicht schlimm. Das Problem ist nur, dass wahrscheinlich seit 1984 locker 30 Jahrgänge an Siebtklässlern damit gequält wurden, "Die Welle" lesen zu müssen, damit sie auch wirklich begreifen, wie schlimm Faschismus ist und wie leicht er sich ausbreiten kann. An sich ist es eine gute Sache, den Schülern das beizubringen, aber ich habe meine Abneigung gegenüber Faschismus sicherlich nicht daher, dass ich dieses Buch im Laufe meiner Schulzeit zweimal lesen musste. Der einzige positive Punkt, den ich für "Die Welle" machen kann ist, dass das Buch zumindest gut genug geschrieben ist, um ein erträgliches Leseerlebnis zu bieten. Es wird sicherlich niemals eins meiner Lieblingsbücher werden, aber ich musste mich weit weniger durchquälen als bei anderen Einträgen auf der Liste oben.

Jetzt wollen wir aber mal zu dem Ereignis kommen, das diese wall-of-text ausgelöst hat. Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mal mit einer Arbeitskollegin, die mir von der Schullektüre ihrer Tochter erzählte. Diese Tochter liest aktuell in der Schule "Tödliche Spiele" von Suzanne Collins. Wem das jetzt vage (oder auch nicht so vage) bekannt vorkommt, dem sei mitgeteilt, dass das das erste Buch der Tribute von Panem Reihe ist. Und wer diesen Post hier gelesen hat, der weiß, dass ich dieses Media-Franchise ziemlich gerne mag. Entsprechend bin ich also verdammt neidisch auf die Tochter meiner Kollegin, dass die in der Schule ein vernünftiges, spannendes Buch lesen darf und ich (fast) immer nur den gefühlten Bodensatz aus der Kategorie "Jugendbücher" lesen musste. Und auch darauf, dass sie zumindest in Deutsch einen Lehrer oder eine Lehrerin hat, die eben genau das begreift, was ich hier irgendwie auszudrücken versuche: Wenn die Lektüre gut genug ist, fangen die Kinder/Jugendlichen ganz von selbst an zu lesen. Natürlich wird es weiterhin auch dann Schülerinnen und Schüler geben, die es vorziehen, die Verfilmung des Buches zu schauen und sich vielleicht noch im Internet eine Zusammenfassung anzuschauen. Aber ich äußere auf blauen Dunst mal die Vermutung, dass die Zahl derer, die das machen sich analog zur Qualität des gelesenen Buches verhält. 

An eben diesem Punkt kommt eben für mich beinahe schon geniale Auswahl des ersten Panem-Buchs als Schullektüre ins Spiel. Nicht nur ist das ein Buch von der "Kann man nicht weglegen" Sorte, nein. Es hat auch noch mehr als nur eine Spur Gesellschaftskritik und mehr als genug unterschwellige Botschaften und Charaktere, die in den von Lehrern so geliebten Standardaufgaben zu der gelesenen Lektüre kaputtanalysiert werden können. Last but not least kommt noch dazu, dass das Buch zwei Fortsetzungen und ein Prequel hat, wodurch man vielleicht tatsächlich noch Schüler dazu bewegen könnte, in ihrer Freizeit zu lesen, weil sie gerne wissen wollen, wie es weitergeht. Genau so funktioniert es meiner Meinung nach, Kinder und Jugendliche dazu zu bekommen, freiwillig ein Buch in die Hand zu nehmen und es zu lesen. 

Natürlich liest nicht jeder gerne. Wir alle sind verschiedene Menschen mit verschiedenen Hobbies und das ist auch gut so. Genügend meiner Altersgenossen haben sich lieber mit Fernsehserien, Internetvideos oder Videospielen befasst und ich kann es verstehen. Alles in allem vertrete ich schließlich grundlegend die Meinung, dass, bei aller Liebe für Bücher, Filme, Serien etc., das Videospiel das aktuell beste Storytelling-Medium ist, das der Menschheit zur Verfügung steht. Wer das nicht so ganz glauben kann oder will, der sollte sich einmal mit dem absoluten Meisterwerk befassen, das Horizon Zero Dawn ist. Aber ich schweife ab. Wie bereits erwähnt ist Lesen sicherlich kein Hobby für jeden Menschen. Ich frage mich aber dennoch, wie viele meiner Altersgenossen wohl nie damit angefangen haben, in ihrer Freizeit zu lesen, weil sie beinahe seit Beginn ihrer Schulzeit nur Langeweile mit Büchern verbunden haben. Ich persönlich habe in meinem Freundeskreis mindestens zwei Menschen, denen es so geht. 

Natürlich könnte und kann mir das egal sein, schließlich ist das ja deren Verlust und hindert mich nicht daran, weiterhin zu lesen, was ich will. Es ist mir aber nicht egal, zumindest nicht völlig. Gewissermaßen habe ich Mitleid mit diesen Menschen, weil ihnen so viele großartige Welten und Geschichten verschlossen bleiben. Denn bei aller Liebe, die ich beispielsweise sowohl für die 1990er als auch die 2017er/2019er Verfilmungen von Stephen Kings Es habe, so kommen alle Filme doch nicht annähernd an das Buch heran, was die Verstrickung der Handlung angeht. Und so ist es eben mit vielen, ja beinahe allen Buchverfilmungen. Völlig am Rande liegen lasse ich hier mal die Bücher, die zwar großartig sind, aber (noch) nicht verfilmt wurden. So verpassen viele Leute großartige Geschichten, weil ihnen in der Kindheit und Jugend durch die Schule das Lesen verdorben wurde. Daher jetzt, quasi als Abschluss dieses ellenlangen Textes hier folgende Frage von mir: Muss das wirklich sein? Es könnte doch auch anders gehen.  

Ich danke euch allen wie üblich fürs Lesen, wenn ihr euch bis an diesen Punkt durcharbeiten konntet. Der Text hat dieses Mal keine Bilder, weil ich nicht viel finden konnte, was wirklich dazu gepasst hätte. Sicherlich hätte ich einige der Cover der erwähnten Bücher einfügen können, aber was hätte das groß für einen Wert gehabt, außer den Text etwas aufzulockern? Alles in allem handelt es sich bei diesem halben Roman, wie bereits am Anfang erwähnt, nur um meine Meinung und meine persönlichen Erfahrungen und Eindrücke. Ich will mir keineswegs anmaßen zu behaupten, dass ich damit völlig richtig liege und nur meine Meinung zählt oder das ich auch nur annähernd Ahnung von dem hätte, was ich da schreibe und behaupte. Ich will lediglich diese Vermutungen äußern, die sich aus meiner bisherigen Erfahrung mit dem Thema ergeben haben. Erneut vielen Dank dafür, dass ihr das gelesen habt und bis zum nächsten Mal. 

Donnerstag, 26. Mai 2022

Der Musikgeschmack meiner Generation


Hallo ihr Lieben. Nachdem mein letzter Post mittlerweile mehr oder weniger ein dreiviertel Jahr her ist, fiel mir kürzlich ein, dass dieser Blog ja auch noch existiert. Ich hab zwar vor längerer Zeit schon einmal einen Post angefangen, der braucht aber noch ein bisschen länger, bis er fertig wird. Zum einen wird dieser Post wohl etwas länger werden und zum anderen muss/will ich hier und da zu dem Thema recherchieren, um keine Fehlinformationen "abzudrucken". Daher hier jetzt erstmal einen kleinen Lückenfüller, angeregt durch eine Konversation, die ich kürzlich führte und einen Fund, den ich während meines Umzugs in einer meiner Schreibtischschubladen machte. 

Vorweg ein kleiner, unnützer Fakt: Mein ursprünglicher Plan war es, diesem Post mit "Der Musikgeschmack der Jugend" zu überschreiben, bis mir auffiel, dass ich mit 25 langsam aber sicher wohl wirklich nicht mehr zur Jugend gehöre. Trotz dessen, dass ich wie die allermeisten erwachsenen Menschen fünf Tage die Woche zur Arbeit gehe, Auto fahre, meine Rechnungen und Miete zahle, habe ich es bisher irgendwie immer noch nicht geschafft, mich wirklich erwachsen zu fühlen, aber das wie gesagt nur kurz am Rande. Jetzt aber (im wahrsten Sinne) weiter im Text hier. 

Wie den meisten Menschen, die mich kennen bekannt sein dürfte, höre ich gerne und viel Musik. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen, die dauernd überall sagen und/oder posten "Musik ist mein Leben" etc., schlicht weil ich persönlich das einfach cringe finde, wie man heutzutage so schön sagt. Ja, Musik ist auch ein großer Teil meines Lebens, so groß, dass ich mir mit 17 die Haare hab wachsen lassen, weil ich so ein glühender Nirvana und Kurt Cobain Fan war, dass ich dem Mann am liebsten in allem, außer vielleicht der Heroinsucht und dem Tod mit 27, nacheifern wollte. Und die Haare habe ich heute noch. Die Vorliebe für die Musik von Nirvana ebenfalls, auch wenn sie nicht mehr ganz so obsessiv ist wie früher. Und nun weiter zu einem der beiden Auslöser dieses Posts. 

Vor nicht allzu langer Zeit holte ich meinen Vater und einen Freund von ihm abends von einer Veranstaltung ab. Wie fast immer lief auf der Fahrt in meinem Auto Musik, schließlich habe ich objektiv betrachtet zu viel Geld für die Anlage in dem Fahrzeug ausgegeben, folglich nutze ich sie auch, wann immer ich kann. Irgendwann im Verlauf der Fahrt beschwerte sich dann der Freund meines Vaters über meinen schlechten Musikgeschmack und darüber, dass früher alles, inklusive der Musik allgemein und dem Musikgeschmack der Leute besser war. Und mal abgesehen davon, dass ich mich zum einen nicht sonderlich für Kritik an meinem Musikgeschmack interessiere und man zweitens den Musikgeschmack von Leuten so oder so eher schlecht kritisieren kann, weil Geschmack eben rein subjektiv ist, hat mich diese Aussage ein wenig ins Grübeln gebracht. Ist denn der Musikgeschmack meiner Generation wirklich schlechter als der, vor früheren Generationen? Wenn ich nicht ich wäre, würde ich diese Überlegung jetzt damit beenden, dass meine Großeltern mit Vorliebe Hansi Hinterseher, die Kastelruther Spatzen und die Wildecker Herzbuben hören. Da ich aber eben ich bin, mache ich daraus eine lange, pseudophilosophische wall-of-text, die den folgenden Gedanken als Grundlage hat: 

Der Musikgeschmack meiner Generation ist nicht schlechter, er ist schlicht diverser. 

Was ich damit meine? Naja, genau das. Im Gegensatz zu früher haben die allermeisten Leute in meinem Alter und darunter einen wesentlich vielseitigeren Musikgeschmack. Und das hängt, wie so oft, mit den Entwicklungen der Technik zusammen, die in den letzten ~20 Jahren passiert sind. Ich bilde mir hier ein, eine Sicht auf die Dinge zu haben, die ältere und jüngere Menschen als ich nicht zwingend habe. Wie bei vielen Dingen, beispielsweise in der Fotografie, dem Fernsehen und andere Technik gehöre ich zu der seltsamen "zwischen-den-Stühlen Generation", sage ich mal. Ich bin alt genug, um noch analoge Fotografie, Röhrenfernseher und Kassetten mitbekommen zu haben, aber auch nicht so alt, dass ich in vielerlei Hinsicht bei den alten Technologien bleibe und die modernen Gegenstücke ignoriere. Und ja, ich weiß, dass das heuchlerisch von jemandem klingt, der gerne mal auf Film fotografiert und einen ganzen Blogpost dazu geschrieben hat, wie toll doch Plattenspieler sind. Aber gebt mir einen Moment, um mich zu erklären. 

Beispielsweise eines meiner Lieblingsalben
Ja, ich besitze und benutze einen Plattenspieler und ja, ich besitze und benutze mehrere analoge Spiegelreflexkameras. Aber das ändert nichts daran, dass meine hauptsächlich genutzte Möglichkeit des Musikkonsums Spotify und meine hauptsächlich genutzte Kamera meine Alpha 7 II ist. Dennoch mag ich es, dass man bei der Nutzung eines Plattenspielers gewissermaßen durch die Funktion des Geräts dazu gezwungen wird, sich aktiv mit der Musik zu befassen. Genau so mag ich es, dass man durch die limitierte Länge eines Films genauer überlegen muss, welches Foto man jetzt wie macht, weil man eben nicht einfach blindwütig auf den Auslöser drücken, fünfzig Fotos vom gleichen Motiv machen und dann am PC am Ende das beste davon aussuchen kann. Möchte ich deswegen nur noch Musik auf Platte hören und nur noch analog fotografieren? Gott bewahre nein, dafür bin ich viel zu geizig, denn sowohl Schallplatten, als auch Filme und deren Entwicklung kosten wesentlich mehr Geld als das Spotify-Abo und die SD-Karte, die in meiner Kamera steckt. Völlig davon abgesehen sind sowohl Spotify und Digitalkameras wesentlich bequemer und bieten mehr Möglichkeiten. Und eben diese Möglichkeiten, die Spotify bietet sind es, um die es hier im Kern geht, auch wenn es bisher nicht so wirkt. 

Der weiter oben erwähnte Fund, den ich in meinem Schreibtisch machte, war mein Sony Walkman NWZ-E474, den ich mir im Jahr 2012 gekauft habe, als der iPod, den meine Eltern mir zu meiner Konfirmation geschenkt hatten präzise drei Wochen nach Ablauf der Garantie kaputtging. Das Anschließen dieses Geräts an meinen PC zeigte, dass es zu meiner Begeisterung noch problemlos funktioniert. Noch dazu hielt ich damit quasi eine Zeitkapsel in der Hand, denn seit ich 2015 auf Spotify umgestiegen bin, habe ich die Musik darauf nicht mehr angefasst. Und so fand ich darauf etwas vor, das meinen Musikgeschmack deutlich anders beschreibt, als ich ihn heute, zehn Jahre später, beschreiben würde. Der Großteil der darauf zu findenden Musik besteht aus Iron Maiden, Green Day, Nirvana, Pearl Jam, AC/DC, blink-182, Creedence Clearwater Revival, Fall Out Boy, Red Hot Chili Peppers, Avril Lavigne und My Chemical Romance, ab und an durchzogen durch irgendwas, was gerade in den Charts war und mir gefallen hat. Alles in allem kann man also wohl behaupten, dass mein Musikgeschmack vor zehn Jahren deutlich Richtung Rock geschwungen ist, vor allem fokussiert auf Punk/Grunge. Und während ich heute zu großen Teilen noch die gleiche Musik höre, höre ich auch viel andere Musik. Heute sind viele neue Sachen dazugekommen. So habe ich in den letzten Jahren eine Vorliebe für Saltatio Mortis, Imagine Dragons, Alligatoah, Cro, Coldplay, Falco, die Beatles, Pink Floyd, Robin Schulz und viele viele Weitere entwickelt. Und wodurch kommt das? Durch Spotify, um es sehr vereinfacht zu formulieren. 

Zu großem Teil Schuld daran, dass viel Menschen in meiner Generation so einen diversen Musikgeschmack haben ist die Veränderung in der Art, wie wir Musik hören. Spotify bietet eine Möglichkeit, die die vorherigen Generationen nicht hatten. Ich muss nicht mehr in den Laden gehen und mir das Album einer Band oder eines Solokünstlers als Schallplatte, Kassette oder CD kaufen, ich kann es mir einfach auf Spotify anhören. Und wenn mir nur drei von zwölf Liedern gefallen, dann kann ich diese drei einer Playlist hinzufügen und die anderen ignorieren. Und genau das ist es, was für die Diversität der konsumierten Musik sorgt. Wenn ich nicht gezielt und bewusst ein bestimmtes Album hören will, sondern einfach nur Lust auf Musik habe, klicke ich bei meine 2600 Titel Playlist auf Zufallswiedergabe und gut ist. Worauf ich gerade keine Lust habe, wird geskippt, der Rest wird gehört. Ganz einfach. Aber eben dadurch entsteht wohl auf andere Menschen der Eindruck, dass mein Musikgeschmack seltsam oder schlecht ist. Und das ist schon in Ordnung. Die einzige Person, der mein Musikgeschmack gefallen muss, bin schließlich ich. 

Und was bedeutet das alles jetzt für mich? Muss ich mir jetzt die Haare abschneiden, wieder eine langweilige Kurzhaarfrisur tragen und alle Bandshirts für immer in meinem Kleiderschrank einmotten? Nein, sicherlich nicht. Ich liebe die Rockmusik immer noch so sehr, wie ich es vor zehn Jahren getan habe, es gibt nur schlichtweg auch andere Musik, die mir gefällt. Und das kann man jetzt gerne, so wie der Freund meines Vaters, für schlechten Musikgeschmack halten und mir sagen, dass ich "nicht mehr Rock n Roll genug" bin oder ähnliche Dinge. Aber interessiert es mich? Gott bewahre, nein. Ich werde weiterhin die Musik hören, die ich liebe, sei es jetzt Rock, Punk, Pop, House/EDM, Rap oder die Klassiker aus den 80ern. Ich habe mich noch nie sonderlich dafür interessiert, was Menschen von mir im Allgemeinen und meinem Musikgeschmack im Speziellen halten und werde jetzt bestimmt nicht damit anfangen. 

Vielen Dank an euch fürs Lesen. Ich wünsche euch einen schönen Tag und verabschiede mich bis zum nächsten Mal. Hoffentlich nicht wieder mit so einem großen Abstand.