Hallo ihr Lieben. Lange ist's her, nicht wahr? Ich könnte mir jetzt irgendein Konstrukt zusammenbauen aus "Ich hab viel gearbeitet" und "Corona" und "Ich war mit meinem Umzug beschäftigt", aber ehrlich gesagt ist dieser mittelmäßig relevante, von im Durchschnitt fünf Menschen gelesene Blog eben nur ein Hobby für mich und ich schreibe dann, wenn ich Zeit und Lust habe und mir zusätzlich dazu ein gutes Thema in die Hände fällt. Und eben diese Konstellation ist nun eingetreten, sodass ich mich daranmache, mal wieder meine Finger über die Tastatur zu bewegen und meine absolut unqualifizierte Meinung ins Internet zu blasen. In diesem Fall hier geht es um eines meiner persönlich liebsten Media-Franchises: Die Tribute von Panem. Aber fangen wir mal von vorne an, mit einer kurzen Zusammenfassung dessen, was dieses Franchise überhaupt ist.
Die Tribute von Panem ist eine Reihe von mittlerweile vier Romanen der US-amerikanischen Autorin Suzanne Collins, die in einer nicht weiter spezifizierten Zukunft dort spielen, wo sich heute die USA befinden. Zum Handlungszeitpunkt der Bücher existieren diese bereits länger nicht mehr und wurden durch den nach Kriegen und Naturkatastrophen entstandenen, totalitären Staat Panem ersetzt. Dieser ist in 12 (ehemals 13) Distrikte und das Kapitol aufgeteilt, wobei letzteres der Regierungssitz ist. Die Handlung der drei "Originalbücher" ist ungefähr 70 Jahre nach der Rebellion der Distrikte gegen das Kapitol angesetzt und setzt sich mit der größten aller Konsequenzen dieser Rebellion auseinander: Die Hungerspiele. Seit der Niederschlagung der Rebellion muss jeder Distrikt jährlich zwei Jugendliche, einen Jungen und ein Mädchen, zwischen 12 und 18 Jahren als Tribut stellen. Diese werden ausgelost und müssen anschließend mit den Tributen aus den anderen Distrikten auf Leben und Tod in einer Arena kämpfen, um die Distrikte Jahr für Jahr daran zu erinnern, dass das Kapitol die absolute Macht über den Rest des Landes hat. Der Sieger der jeweiligen Hungerspiele wird mit Geld und Ruhm überschüttet und darf nach den Spielen in seinen Distrikt zurückkehren und dort sein Leben weiterführen. Eben aufgrund des Ruhms und der Preise, die dem Sieger winken, gibt es in den reicheren Distrikten sogenannte Karrieretribute, die lange Zeit im Voraus für die Spiele trainieren und sich dann am sogenannten "Tag der Ernte", an dem die Tribute ausgelost werden, freiwillig für die Spiele melden.
An eben jenem Punkt sitzt der Auslöser dafür, dass ich mich nach all der Zeit mal wieder vor meinen Rechner gesetzt und damit angefangen habe, in dem mittelmäßigen Editor, den Blogger mir bietet, einen Text zu schreiben. Der allgemein vorherrschende Satz, der den ausgelosten Tributen von der jeweiligen das Kapitol repräsentierenden Person im Distrikt mitgegeben wird, lautet "Möge das Glück stets mit euch sein". In Anbetracht dessen, was den Tributen bevorsteht, ist dieser Satz bereits diffus, heuchlerisch und zynisch genug, auch wenn die meisten Menschen aus dem Kapitol diesen Satz tatsächlich ernst meinen. Aber Glück ist in jedem Fall etwas Abstraktes. Des einen Glück kann des anderen Pech sein und ist somit eine nicht messbare, für jeden Menschen subjektive Erfahrung.
Im englischen Original dagegen lautet der Satz "May the odds be ever in your favor". Und auch, wenn die deutsche Übersetzung jetzt erstmal relativ tauglich ist, geht hier doch eine Kleinigkeit verloren. Denn im Originalsatz ist von "odds", von Chancen also die Rede. Die sind, ganz im Gegensatz zu Glück, eine berechenbare Größe, die ganz objektiv und unabhängig des Betrachters existiert. Eine Münze hat immer eine Chance von 1:1, auf Kopf oder Zahl zu landen, völlig egal, welche Seite für den Werfer der Münze Glück und welche Pech bedeutet. Ähnlich ist es mit den Chancen der Tribute in den Hungerspielen. Der verwendete Satz allerdings suggeriert, dass die Chancen der jeweiligen Tribute gleich wären und man den eigenen Tributen wünscht, die Chancen würden zu ihren Gunsten ausfallen. Jeder allerdings, der die Bücher gelesen oder Filme gesehen hat, weiß relativ schnell, dass die Chancen der Tribute nicht gleich sind. Unterernährte Kinder aus armen Distrikten haben keinerlei Chance in einem Kampf gegen die trainierten, gut ernährten Teenager aus den Karrieredistrikten. Dennoch suggeriert der Satz unterschwellig, dass eben genau diese Chancengleichheit existiert.
Und nicht nur das. Zusätzlich wird von Chancen (oder Wahrscheinlichkeit) gesprochen, den (potentiellen) Tributen gewünscht, diese mögen zu ihren Gunsten ausfallen, während im gleichen Atemzug dafür gesorgt wird, dass dies nicht der Fall ist. Während man den Menschen in den Distrikten eben dies wünscht, zwingt man deren Kinder wohlwissentlich dazu, ihre Namen öfter in die Lostrommeln zu werfen, um ihre Familien zu ernähren. In diesem Kontext also von Chancen zu sprechen unterstreicht die Perversion, mit der das Kapitol die Menschen in den Distrikten misshandelt, deutlicher, als ich es in diesem Text darstellen könnte.
Ich bin kein Freund davon, einem Autor unterschwelligen Kontext zu unterstellen, der nicht da ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass blaue Vorhänge eben manchmal einfach nur blaue Vorhänge sind. Aber in diesem Fall glaube ich, dass man Suzanne Collins schon einen gewissen Sinn, der zwischen den Zeilen lesbar ist vorwerfen kann. Vielleicht habe ich auch Unrecht, aber das werde ich wohl nie erfahren. Fakt ist, ob dieser von mir darin gelesen Sinn jetzt beabsichtigt vorhanden ist oder von mir in diese Aussage reininterpretiert wird, in der deutschen Ausgabe fehlt er. Denn dort wird eben nur Glück gewünscht, das die Tribute in den Spielen wirklich gut gebrauchen können.
In den Büchern wird recht schnell klar, dass die Einwohner der Distrikte sich über diesen Satz mit einem gewissen Galgenhumor lustig machen, genauso wie über den überzogenen Akzent derer, die aus dem Kapitol stammen. Dennoch ist auch den Einwohnern der Distrikte unterm Strich vermutlich klar, wie die Chancen für ihre Tribute tatsächlich stehen und wie zynisch dieser Satz letzten Endes ist. Die Einwohner des Kapitols hingegen meinen diesen Satz, soweit man sagen kann ernst. Ihnen erschließt sich der Zynismus nicht, der dieser Aussage zu Grunde liegt, für sie sind die Chancen gleich, weil ja schließlich alle Tribute aus den ungehobelten Distrikten stammen. Und eben auch dadurch, durch die Nutzung des gleichen Satzes auf zweierlei Arten, im Kapitol und in den Distrikten, zeigt sich die Distanz zwischen dem Volk der Herrschenden, die im Kapitol sitzen und dem Volk der Beherrschten, die in den Distrikten sitzen. Diejenigen, die im Kapitol leben haben keine ernsten Sorgen. Sie haben immer genug Essen, vernünftigen Wohnraum, Strom, fließend Wasser etc. Die, die in den Distrikten leben, haben dagegen oft zu wenig Nahrung, zu viel Arbeit, selten Strom, teilweise gar kein Wasser und zusätzlich das immer über ihren Köpfen hängende Damoklesschwert, dass sie selbst oder einer ihrer Verwandten für die Hungerspiele als Tribut ausgelost wird und in die Arena muss. Durch diesen fundamentalen Schnitt in der Gesellschaft von Panem entsteht die Basis dafür, dass dieser Satz für zwei Bevölkerungsgruppen so unterschiedliche Bedeutungen hat.
Das ändert sich auch mit der deutschen Übersetzung nicht. Lediglich die weiter oben erörterte Kleinigkeit ist "lost in translation". Und was lernen wir jetzt darauf? Lerne ich jetzt selber jede Sprache dieser Welt und lese Bücher nur noch in der jeweiligen Originalsprache? Zur Hölle, nein. Ich spreche 2,5 Sprachen, davon zwei fließend und hoffe, aus der halben Sprache irgendwann nochmal eine ganze machen zu können. Das wars dann aber in der Hinsicht auch für mich. Was den Rest angeht, verlasse ich mich da lieber auf Übersetzer, die ihr Handwerk gelernt und so oder so die meiste Zeit mehr Ahnung von der jeweiligen Sprache haben, als ich es jemals haben könnte, selbst wenn ich sie sprechen würde. Und ich sage auch nicht, dass irgendwer von euch das tun muss. Das war nicht Sinn dieses Posts. Sinn dieses Posts ist es, dass ich mich mal wieder über eins meiner Lieblings-Franchises auslassen wollte und dieses Thema als Anlass genommen habe, weil es mir schon länger im Kopf herumspukt.
Und was ist jetzt das, was man aus diesem Post mitnehmen kann? Nun, zum einen, dass ich meine mittelmäßige Fähigkeit, eine Menge Worte in meiner Muttersprache aneinanderzureihen manchmal ganz gerne benutze, um meine Meinung über Dinge kundzutun, die wahrscheinlich eh keinen interessieren. Und zum anderen: Es kann passieren, dass Dinge in der Übersetzung verloren gehen, aber das ist okay. Das ist eben der Preis, den wir dafür zahlen, viele verschiedene Sprachen auf dieser Welt zu haben. Und da man eben nicht jede dieser Sprachen lernen kann, muss man sich manchmal auf jemanden verlassen, der das Übersetzen übernimmt und darauf hoffen, dass dadurch nicht zu viel des Sinns verloren geht. Im Falle dessen, was ich hier behandelt habe, ist das, was verloren geht allerhöchstens eine kleine, unterschwellige Botschaft, die vielleicht nicht einmal von der Autorin beabsichtigt war. Und das ist in Ordnung. Deswegen werde ich jetzt nicht aufhören, auf Deutsch übersetzte Bücher zu lesen.
So, jetzt ist aber auch genug hin und her. Falls ihr es bis hierhin geschafft habe, danke ich euch fürs Lesen und wünsche euch noch einen wunderschönen Tag. Bis zum nächsten Mal in ungefähr einem dreiviertel Jahr dann. 😁
Bildquellen:
Cover der deutschen Ausgabe des ersten Buches [von Amazon]
