Dienstag, 14. September 2021

Du wirst die Schule vermissen!

Hallo ihr Lieben. Ja, ihr könnt euren Augen ruhig trauen, ich poste tatsächlich zweimal im gleichen Quartal. Das muss nicht heißen, dass das in Zukunft immer so ist, denn ich poste vor allem aus zwei Gründen: Ich habe Zeit/Lust dazu und ich habe ein Thema, über das ich schreiben kann. Im Falle dieser Geschichte hier sind diese Bedingungen mal wieder zusammengekommen, also habe ich mich vor meinen Rechner gesetzt und diesen wundervollen Textbeitrag hier fabriziert. Viel Vergnügen.

Vorab sei noch gesagt: Mir ist klar, dass nicht alles schwarz und weiß oder gut und schlecht ist. Dieser Text mag auf den ersten Blick wirken, als hätte ich meine Schulzeit und alle Beteiligten gehasst, dem ist aber nicht so. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, zuerst die negativen Dinge aufzulisten und anschließend zu relativieren und die Dinge aufzulisten, die mir an meiner Schulzeit gefallen haben und vielleicht sogar ein wenig fehlen. 

Wer kennt sie nicht, die klassische Aussage der Lehrer: "Wenn ihr erst arbeitet, dann werdet ihr die Schule vermissen, glaubt mir." Das war bei vielen, wenn auch nicht allen meiner Lehrerinnen und Lehrer an sämtlichen weiterführenden Schulen, die ich besucht habe die Standardantwort darauf, wenn sich jemand über irgendwas beschwert hat. Und wenn ich da heute so drüber nachdenke, frage ich mich, wann es denn bei mir endlich so weit ist. Ich bin jetzt seit über sechs Jahren Mitglied der arbeitenden Gesellschaft, habe einen 40+ Stunden/Woche Job in der Informatik und bin damit echt glücklich. Ich habe einen guten Arbeitgeber, größtenteils nette Kollegen und werde gut bezahlt. Noch dazu habe ich eine ganz angenehme Zahl an Urlaubstagen im Jahr und eine Gleitzeitregelung, die mir erlaubt, auch mal früher abzuhauen. Daher stellt sich mir wirklich die Frage, was genau ich an der Schule vermissen sollte. 

Vielleicht den von anderen Leuten vorgefertigten Stundenplan, auf den ich wenig bis gar keinen Einfluss habe. Oder doch eher die Tatsache, dass ich nach acht Stunden Schule nach Hause komme, um dann nochmal anderthalb Stunden an meinem Schreibtisch zu sitzen und Hausaufgaben zu machen. Und vielleicht noch dazu die Tatsache, dass ich am Ende des Tages, nachdem ich an langen Tagen neun bis zehn Stunden für die Schule gearbeitet habe mit genau 0€ für den ganzen Aufwand dastehe. Nein, ehrlich gesagt vermisse ich das nicht. Ich bevorzuge mein Büro, in dem ich um die acht Stunden am Tag verbringe und nach dessen Verlassen ich tatsächlich Feierabend habe. Noch dazu bekomme ich am Ende des Monats ein anständiges Sümmchen auf mein Konto überwiesen, von dem ich mir ein angenehmes Leben leisten kann. Aber gut, gehen wir die Liste mal weiter durch, was könnte ich denn noch vermissen?

Vielleicht ist es ja die tägliche Busfahrt zur Schule, die notwendig ist, weil mein Heimatort über keine weiterführende Schule verfügt. Eventuell vermisse ich ja auch den mies gelaunten Busfahrer des lokalen Omnibusdepots, der heute Morgen schon wieder das kürzeste Streichholz gezogen hat und deswegen den Schulbus fahren muss. Vielleicht vermisse ich es auch, während dieser Busfahrt Musik mit mittelmäßigen Kopfhörern zu hören, deren eine Seite schon seit Monaten lauter ist als die andere, weil sich ein Kabelbruch anbahnt, woran ich aber nichts ändern kann, weil ich kein Geld habe, mir neue Kopfhörer zu kaufen. Es könnte natürlich auch sein, dass ich es vermisse, mich mit 50 oder mehr lärmenden, größtenteils ungewaschenen mehr-oder-weniger-Altersgenossen in einen Bus ohne Klimaanlage zu setzen. Aber wenn ich so darüber nachdenke, lautet auch hier die ehrliche Antwort nein. Ich wüsste keinen Grund, diese Erfahrung vorzuziehen, wenn die andere Option ist, mich alleine in mein klimatisiertes Auto zu setzen und meine 800€ Stereoanlage zu genießen. 

Vermisse ich es vielleicht, nachdem ich diesen Bus verlassen habe mit einem Anteil der erwähnten Altersgenossen gemeinsam in ein Klassenzimmer zu gehen, das mit 20 oder mehr Leuten besetzt ist und scheinbar immer einen Grundschallpegel von 90 dBA oder mehr hat? Oder vermisse ich den Tageslichtprojektor, der im Sommer bessere Arbeit bei der Erhöhung der Zimmertemperatur macht, als die Heizung der Schule es im Winter tut? Vermisse ich es, in erwähntem Sommer bei Temperaturen von 25°C und mehr in einem nicht klimatisierten Klassenzimmer zu sitzen, dass ich mir ebenso wie den Bus mit mehreren, teilweise ungewaschenen Altersgenossen teilen muss? Oder fehlt es mir, in ebenfalls erwähntem Winter zweimal pro Tag für 20 Minuten in die Kälte geschickt zu werden, weil Bewegung ja so wichtig für Kinder und Jugendliche sind? Dort zu stehen oder rumzulaufen und zu hoffen, die Pause möge vergehen, bevor sich die Haut auf meinem Handrücken mal wieder dazu entscheidet, aufzuplatzen und zu bluten? Nein, auch davon vermisse ich nichts. Ich ziehe in jeder Hinsicht mein im Winter wie im Sommer auf 23°C klimatisiertes Büro vor, in dem es die meiste Zeit wunderschön leise ist und das ich nur für den Weg zum Auto nach Feierabend verlassen muss. Noch dazu kommt, dass die meisten meiner Kollegen mit Konzepten wie "Körperpflege" und "Regulierung der eigenen Stimmlautstärke" vertraut sind. 

Vielleicht vermisse ich ja aber den Unterricht selbst. Die Lehrer, die keinerlei Kompetenz darin besitzen, Wissen interessant zu vermitteln. Die Mitschüler, deren Hauptaufgabe es scheinbar ist, eine akustische Atmosphäre herzustellen, in der selbst die Lehrer, die dazu fähig sind, Wissen zu vermitteln kaum bis gar keinen Unterricht machen können. Eventuell vermisse ich auch das Schreiben von Klassenarbeiten in einer Atmosphäre, die sich zwar etwas von der im vorherigen Satz erwähnten unterscheidet, aber immer noch weit von dem entfernt ist, was ich als "ruhig" bezeichnen würde. Und vielleicht besteht auch noch die Möglichkeit, dass ich das den Klassenarbeiten vorangestellte Bulimielernen vermisse. Oh, und natürlich die allgemeine Tatsache, mir Wissen in den Kopf prügeln zu müssen, das ich nach der Schulzeit nie wieder brauchen werde. Auch entgegen der vehementen Behauptung meiner Lehrer habe ich bisher weder Polynomdivision, noch den Aufbau einer pflanzlichen Zelle oder die Subtextanalyse von Goethes Erlkönig in meinem weiteren Leben benötigt. Hier ziehe ich es ebenfalls vor, in meinem ruhigen Büro zu sitzen und eben vor allem die Dinge zu lernen, die für mein tägliches Berufsleben wichtig sind. 

Eventuell vermisse ich ja aber den Sportunterricht. Dieses Mekka der staatlich-schulisch verordneten Bewegungstherapie, die zumeist daraus besteht, irgendwelche Ballspiele zu spielen, in denen die Alphamännchen der Klasse außergewöhnlich gut sind, während der Rest versucht, möglichst nicht zu hart von den Bällen des Möchtegern-Ronaldos getroffen zu werden. Auch das vermisse ich nicht. Viel mehr bin ich nahezu unbändig begeistert davon, dass ich mir jetzt meine Art des körperlichen Ausgleichs einfach selber aussuchen kann. Und so gehe ich regelmäßig bouldern, fahre viel Fahrrad und schwimme auch mal bei Gelegenheit ganz gerne. Alles für mich persönlich schöne Möglichkeiten des Ausgleichs, was vor allem aber nicht nur daran liegt, dass die Chance dabei von einem Ball im Gesicht getroffen zu werden recht nah an Null liegt. 

Aber vielleicht vermisse ich ja das miteinander. Jeden Werktag in der Woche mit hormongesteuerten Gleichaltrigen zu verbringen, die nichts außer Imponiergehabe und dem neusten Klatsch und Tratsch im Kopf haben. Quasi täglich die Frage "Bist du noch mit deiner Freundin zusammen?" gestellt zu bekommen und sie aufgrund der Frequenz, mit der sie gestellt wird mit einem reflexartigen Kopfnicken zu beantworten. In der Allergiezeit quasi täglich von den Leuten genervt zu werden, ob ich ihnen nicht vielleicht was von meinem Spliff abgeben möchte. All das würde eine etwas weniger misanthropische Person als ich sicherlich vermissen, aber ich tue es ganz bestimmt nicht. Ich bevorzuge auch da meine Arbeit. Klar gibt es hier und da auch mal den Flurfunk, aber der dreht sich die meisten Zeit eher darum, was gerade im Unternehmen passiert und nicht darum, wer mit wem zusammen ist, wer vielleicht welche Drogen nimmt und wer welche Noten in welchem Fach hat. 

Aber, auch wenn der bisherige Text das vermuten lässt, es war nicht alles schlecht in meiner Schulzeit. Und deswegen ist jetzt die Zeit gekommen, zumindest einige meiner Aussagen ein wenig zu relativieren. 

Zum einen können natürlich auch meine 30 Tage Jahresurlaub nicht mit der Menge an freien Tagen mithalten, die ich als Schüler hatte. Aber das ist okay für mich, denn ich habe ehrlich gesagt nicht unbedingt das Gefühl, mehr als diese 30 Tage im Jahr zur Erholung zu brauchen. Da spielt mit großer Wahrscheinlichkeit allerdings auch die Tatsache mit rein, dass ein durchschnittlicher Arbeitstag für mich wesentlich weniger anstrengend ist, als es ein durchschnittlicher Schultag war. Das mag zum einen mit meinem Alter zusammenhängen, zum anderen aber wahrscheinlich auch damit, dass es bei mir auf der Arbeit wesentlich leiser ist, als es jemals in irgendeinem Klassenraum war, den ich betreten habe. 

Außerdem war ich weiter oben vielleicht ein wenig hart im Bezug auf die Lehrer, die ich im Laufe meiner Schullaufbahn so hatte. Es gab zwar genügend schwarze Schafe, aber eben nicht nur. So seien meine Lehrerinnen und Lehrer in Biologie, Physik, Musik und Geschichte von der Realschule hier einmal lobend erwähnt, die aus meiner Sicht alle tolle Personen sind und sehr gut darin waren, ansprechenden und interessanten Unterricht zu machen. Außerdem seien - abgesehen von meinen Lehrerinnen für Spanisch - alle Lehrkräfte der gymnasialen Oberstufe lobend erwähnt, die ich ein Jahr lang besucht habe. Zum Abschluss bliebe noch mein Sportlehrer der letzten beiden Realschuljahre zu erwähnen, den ich zum einen auf persönlicher Ebene sehr gerne mag und der zum anderen eben nicht immer auf die laute Minderheit, die unbedingt Fußball spielen wollte gehört hat, sondern auch eine Menge anderer Themen mit uns im Sportunterricht gemacht hat. Ihr seht also, es war nicht alles schlecht. 

Als jemand, der nebenberuflich Misanthrop ist kann ich allerdings nicht sagen, dass ich das Zwischenmenschliche meiner Schulzeit vermisse. Gut, ich war trotz dessen, dass ich eher ungern in Gesellschaft bin relativ gut dazu fähig, auf Leute zuzugehen, aber nur deswegen vermisse ich sicher nicht meine Schulzeit, während derer ich mit 25 Leuten in einem Raum gesessen habe, von denen ich drei oder vier gut leiden und den Rest tolerieren konnte. Aber eben das war meine "Überlebensstrategie" in der Schule. Ich habe mir eine kleine Gruppe an Freunden gesucht und dann eigentlich nur noch mit denen zusammen rumgehangen und den Rest so gut es ging gemieden. Das ist zwar nicht das, was sich meine Lehrer gewünscht haben, aber hey, wir sind hier eben nicht bei "Wünsch dir was", wir sind hier bei "so isses". Darunter haben dann zwar meine Kopfnoten ab der achten Klasse ein wenig gelitten, aber um ehrlich zu sein könnte mir nichts egaler sein.

Das Positive, was am zwischenmenschlichen Aspekt meiner Schulzeit angemerkt werden sollte ist, dass ich den Großteil der Leute, die sich heute in meinem sozialen Kreis befinden in der Schule kennengelernt habe. Und dem zum Trotze, was unsere Lehrer damals sagten, haben wir uns nicht aus den Augen verloren, sondern sind weiterhin Freunde geblieben und haben sehr regelmäßig Kontakt zueinander. 

Und jetzt? Jetzt sitze ich hier, kabellose, auf beiden Seiten gleich laute Kopfhörer im Ohr, Laptop auf dem Schoß am See des Parks der ostwestfälischen gerade-so-Großstadt, in der ich mein Tagewerk verrichte, und versuche ein Fazit für diesen Text zu schreiben. Und wisst ihr was? Das ist gar nicht so einfach, wie ich es erwartet hatte, als ich diesen Text vor ein paar Tagen an meinem heimischen Schreibtisch angefangen habe. Ich habe diesen Text in Erwartung dessen geschrieben, dass ich am Ende mit einer Liste negativer Dinge aus meiner Schulzeit und dem Fazit "Ich vermisse die Schule nicht" dastehe. Aber ganz so schwarz/weiß ist das alles dann doch nicht geworden. Also lasst mich versuchen, das irgendwie zusammenzufassen. 

Meine Schulzeit war sicherlich nicht die beste Zeit meines Lebens. Ich bin nie ungern zur Schule gegangen, hab aber auch nie zu den Überfliegern gehört, die unbedingt in jedem Fach perfekt sein wollten. Ich habe überall genau so viel getan, wie ich musste, weil ich nie gesehen habe, was es mir bringen sollte, mehr zu tun. Letzten Endes bin ich damit gut durchgekommen und an dem Punkt gelandet, an dem ich heute bin. Ich habe ein gutes Leben, Zuhause wartet der Gegenstand der "Bist du noch mit deiner Freundin zusammen?" Frage, mit dem kleinen Unterschied, dass wir mittlerweile wie von meiner oben einmal erwähnten Biolehrerin vor über zehn Jahren prophezeit verheiratet sind. Ich habe einen guten Job, ein schönes Auto, eine schöne Wohnung und mehrere gute Freunde. Ich bin in einer Situation, in der ich sagen kann, dass es mir finanziell gut genug geht, um keine großen Sorgen zu haben. Die Grundlage für all diese Dinge habe ich in meiner Schulzeit gelegt. Denn auch, wenn ich nie der Klassenbeste war, die Noten, die ich letzten Endes erreicht habe, haben für mich genügt, meine Ausbildung zu ergreifen und den Beruf zu erlernen, den ich heute mit (mal mehr, mal weniger) Begeisterung ausübe. Ich weiß, was ich der Schule zu verdanken habe, betrachte die Zeit aber sicherlich nicht durch die rosarote Brille und sage, dass alles großartig und perfekt war. Dafür habe ich mit gewissen Lehrkräften, die ich ab der achten Klasse hatte, zu viele Schwierigkeiten gehabt. 

Alles in allem ist die Frage "Vermisse ich die Schule" für mich gar nicht so einfach zu beantworten. Vermisse ich es, jeden Tag (beinahe) meinen gesamten Freundeskreis zu sehen? Ja. Aber damit ist auch die sehr kurze Liste an Dingen, die ich aus meiner Schulzeit vermisse beendet. Von den anderen, oben bereits genannten Aspekten des Schullebens vermisse ich nichts. Nicht die Hausaufgaben, nicht die Mitschüler, nicht die inkompetenten Lehrer, nicht die Busfahrten oder den Sportunterricht, gar nichts. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir der Unterricht bei den wenigen guten Lehrern in meiner Realschulzeit keinen Spaß gemacht hat, aber auch hier hält sich die Sehnsucht in Grenzen. Im daher die Frage kurz und bündig zu beantworten: Nein, ich vermisse die Schule nicht und nein, ich würde auch nicht wieder zu meiner Schulzeit zurückkehren, wenn ich könnte. Ich bin zwar ein unglaublich nostalgischer Mensch, der sehr gut dazu befähigt ist, mit verklärtem Blick und rosaroter Brille auf die Vergangenheit zurückzublicken, aber irgendwie stellt sich dieser Blick in Hinsicht auf meine Schulzeit nur sehr bedingt ein. In meinen Erinnerungen aus dieser Zeit überwiegen einfach die unangenehmen Erfahrungen gegenüber denen, die ich positiv in Erinnerung habe. 

So, jetzt ist aber auch wahrlich genug geschrieben. Sollte es tatsächlich jemand bis hier unten geschafft haben, danke ich vielmals fürs Lesen und hoffe, dass der Unterhaltungswert dieses halben Romans zumindest halbwegs in Ordnung war. Euch noch einen wunderschönen Tag und bis zum nächsten Mal, wann auch immer das sein mag. 

Dienstag, 3. August 2021

Möge das Glück stets mit euch sein oder: Warum Übersetzungen manchmal etwas Tiefgang kosten

Hallo ihr Lieben. Lange ist's her, nicht wahr? Ich könnte mir jetzt irgendein Konstrukt zusammenbauen aus "Ich hab viel gearbeitet" und "Corona" und "Ich war mit meinem Umzug beschäftigt", aber ehrlich gesagt ist dieser mittelmäßig relevante, von im Durchschnitt fünf Menschen gelesene Blog eben nur ein Hobby für mich und ich schreibe dann, wenn ich Zeit und Lust habe und mir zusätzlich dazu ein gutes Thema in die Hände fällt. Und eben diese Konstellation ist nun eingetreten, sodass ich mich daranmache, mal wieder meine Finger über die Tastatur zu bewegen und meine absolut unqualifizierte Meinung ins Internet zu blasen. In diesem Fall hier geht es um eines meiner persönlich liebsten Media-Franchises: Die Tribute von Panem. Aber fangen wir mal von vorne an, mit einer kurzen Zusammenfassung dessen, was dieses Franchise überhaupt ist. 

Die Tribute von Panem ist eine Reihe von mittlerweile vier Romanen der US-amerikanischen Autorin Suzanne Collins, die in einer nicht weiter spezifizierten Zukunft dort spielen, wo sich heute die USA befinden. Zum Handlungszeitpunkt der Bücher existieren diese bereits länger nicht mehr und wurden durch den nach Kriegen und Naturkatastrophen entstandenen, totalitären Staat Panem ersetzt. Dieser ist in 12 (ehemals 13) Distrikte und das Kapitol aufgeteilt, wobei letzteres der Regierungssitz ist. Die Handlung der drei "Originalbücher" ist ungefähr 70 Jahre nach der Rebellion der Distrikte gegen das Kapitol angesetzt und setzt sich mit der größten aller Konsequenzen dieser Rebellion auseinander: Die Hungerspiele. Seit der Niederschlagung der Rebellion muss jeder Distrikt jährlich zwei Jugendliche, einen Jungen und ein Mädchen, zwischen 12 und 18 Jahren als Tribut stellen. Diese werden ausgelost und müssen anschließend mit den Tributen aus den anderen Distrikten auf Leben und Tod in einer Arena kämpfen, um die Distrikte Jahr für Jahr daran zu erinnern, dass das Kapitol die absolute Macht über den Rest des Landes hat. Der Sieger der jeweiligen Hungerspiele wird mit Geld und Ruhm überschüttet und darf nach den Spielen in seinen Distrikt zurückkehren und dort sein Leben weiterführen. Eben aufgrund des Ruhms und der Preise, die dem Sieger winken, gibt es in den reicheren Distrikten sogenannte Karrieretribute, die lange Zeit im Voraus für die Spiele trainieren und sich dann am sogenannten "Tag der Ernte", an dem die Tribute ausgelost werden, freiwillig für die Spiele melden. 

An eben jenem Punkt sitzt der Auslöser dafür, dass ich mich nach all der Zeit mal wieder vor meinen Rechner gesetzt und damit angefangen habe, in dem mittelmäßigen Editor, den Blogger mir bietet, einen Text zu schreiben. Der allgemein vorherrschende Satz, der den ausgelosten Tributen von der jeweiligen das Kapitol repräsentierenden Person im Distrikt mitgegeben wird, lautet "Möge das Glück stets mit euch sein". In Anbetracht dessen, was den Tributen bevorsteht, ist dieser Satz bereits diffus, heuchlerisch und zynisch genug, auch wenn die meisten Menschen aus dem Kapitol diesen Satz tatsächlich ernst meinen. Aber Glück ist in jedem Fall etwas Abstraktes. Des einen Glück kann des anderen Pech sein und ist somit eine nicht messbare, für jeden Menschen subjektive Erfahrung. 

Im englischen Original dagegen lautet der Satz "May the odds be ever in your favor". Und auch, wenn die deutsche Übersetzung jetzt erstmal relativ tauglich ist, geht hier doch eine Kleinigkeit verloren. Denn im Originalsatz ist von "odds", von Chancen also die Rede. Die sind, ganz im Gegensatz zu Glück, eine berechenbare Größe, die ganz objektiv und unabhängig des Betrachters existiert. Eine Münze hat immer eine Chance von 1:1, auf Kopf oder Zahl zu landen, völlig egal, welche Seite für den Werfer der Münze Glück und welche Pech bedeutet. Ähnlich ist es mit den Chancen der Tribute in den Hungerspielen. Der verwendete Satz allerdings suggeriert, dass die Chancen der jeweiligen Tribute gleich wären und man den eigenen Tributen wünscht, die Chancen würden zu ihren Gunsten ausfallen. Jeder allerdings, der die Bücher gelesen oder Filme gesehen hat, weiß relativ schnell, dass die Chancen der Tribute nicht gleich sind. Unterernährte Kinder aus armen Distrikten haben keinerlei Chance in einem Kampf gegen die trainierten, gut ernährten Teenager aus den Karrieredistrikten. Dennoch suggeriert der Satz unterschwellig, dass eben genau diese Chancengleichheit existiert. 
 
Und nicht nur das. Zusätzlich wird von Chancen (oder Wahrscheinlichkeit) gesprochen, den (potentiellen) Tributen gewünscht, diese mögen zu ihren Gunsten ausfallen, während im gleichen Atemzug dafür gesorgt wird, dass dies nicht der Fall ist. Während man den Menschen in den Distrikten eben dies wünscht, zwingt man deren Kinder wohlwissentlich dazu, ihre Namen öfter in die Lostrommeln zu werfen, um ihre Familien zu ernähren. In diesem Kontext also von Chancen zu sprechen unterstreicht die Perversion, mit der das Kapitol die Menschen in den Distrikten misshandelt, deutlicher, als ich es in diesem Text darstellen könnte. 

Ich bin kein Freund davon, einem Autor unterschwelligen Kontext zu unterstellen, der nicht da ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass blaue Vorhänge eben manchmal einfach nur blaue Vorhänge sind. Aber in diesem Fall glaube ich, dass man Suzanne Collins schon einen gewissen Sinn, der zwischen den Zeilen lesbar ist vorwerfen kann. Vielleicht habe ich auch Unrecht, aber das werde ich wohl nie erfahren. Fakt ist, ob dieser von mir darin gelesen Sinn jetzt beabsichtigt vorhanden ist oder von mir in diese Aussage reininterpretiert wird, in der deutschen Ausgabe fehlt er. Denn dort wird eben nur Glück gewünscht, das die Tribute in den Spielen wirklich gut gebrauchen können. 

In den Büchern wird recht schnell klar, dass die Einwohner der Distrikte sich über diesen Satz mit einem gewissen Galgenhumor lustig machen, genauso wie über den überzogenen Akzent derer, die aus dem Kapitol stammen. Dennoch ist auch den Einwohnern der Distrikte unterm Strich vermutlich klar, wie die Chancen für ihre Tribute tatsächlich stehen und wie zynisch dieser Satz letzten Endes ist. Die Einwohner des Kapitols hingegen meinen diesen Satz, soweit man sagen kann ernst. Ihnen erschließt sich der Zynismus nicht, der dieser Aussage zu Grunde liegt, für sie sind die Chancen gleich, weil ja schließlich alle Tribute aus den ungehobelten Distrikten stammen. Und eben auch dadurch, durch die Nutzung des gleichen Satzes auf zweierlei Arten, im Kapitol und in den Distrikten, zeigt sich die Distanz zwischen dem Volk der Herrschenden, die im Kapitol sitzen und dem Volk der Beherrschten, die in den Distrikten sitzen. Diejenigen, die im Kapitol leben haben keine ernsten Sorgen. Sie haben immer genug Essen, vernünftigen Wohnraum, Strom, fließend Wasser etc. Die, die in den Distrikten leben, haben dagegen oft zu wenig Nahrung, zu viel Arbeit, selten Strom, teilweise gar kein Wasser und zusätzlich das immer über ihren Köpfen hängende Damoklesschwert, dass sie selbst oder einer ihrer Verwandten für die Hungerspiele als Tribut ausgelost wird und in die Arena muss. Durch diesen fundamentalen Schnitt in der Gesellschaft von Panem entsteht die Basis dafür, dass dieser Satz für zwei Bevölkerungsgruppen so unterschiedliche Bedeutungen hat. 

Das ändert sich auch mit der deutschen Übersetzung nicht. Lediglich die weiter oben erörterte Kleinigkeit ist "lost in translation". Und was lernen wir jetzt darauf? Lerne ich jetzt selber jede Sprache dieser Welt und lese Bücher nur noch in der jeweiligen Originalsprache? Zur Hölle, nein. Ich spreche 2,5 Sprachen, davon zwei fließend und hoffe, aus der halben Sprache irgendwann nochmal eine ganze machen zu können. Das wars dann aber in der Hinsicht auch für mich. Was den Rest angeht, verlasse ich mich da lieber auf Übersetzer, die ihr Handwerk gelernt und so oder so die meiste Zeit mehr Ahnung von der jeweiligen Sprache haben, als ich es jemals haben könnte, selbst wenn ich sie sprechen würde. Und ich sage auch nicht, dass irgendwer von euch das tun muss. Das war nicht Sinn dieses Posts. Sinn dieses Posts ist es, dass ich mich mal wieder über eins meiner Lieblings-Franchises auslassen wollte und dieses Thema als Anlass genommen habe, weil es mir schon länger im Kopf herumspukt. 

Und was ist jetzt das, was man aus diesem Post mitnehmen kann? Nun, zum einen, dass ich meine mittelmäßige Fähigkeit, eine Menge Worte in meiner Muttersprache aneinanderzureihen manchmal ganz gerne benutze, um meine Meinung über Dinge kundzutun, die wahrscheinlich eh keinen interessieren. Und zum anderen: Es kann passieren, dass Dinge in der Übersetzung verloren gehen, aber das ist okay. Das ist eben der Preis, den wir dafür zahlen, viele verschiedene Sprachen auf dieser Welt zu haben. Und da man eben nicht jede dieser Sprachen lernen kann, muss man sich manchmal auf jemanden verlassen, der das Übersetzen übernimmt und darauf hoffen, dass dadurch nicht zu viel des Sinns verloren geht. Im Falle dessen, was ich hier behandelt habe, ist das, was verloren geht allerhöchstens eine kleine, unterschwellige Botschaft, die vielleicht nicht einmal von der Autorin beabsichtigt war. Und das ist in Ordnung. Deswegen werde ich jetzt nicht aufhören, auf Deutsch übersetzte Bücher zu lesen. 

So, jetzt ist aber auch genug hin und her. Falls ihr es bis hierhin geschafft habe, danke ich euch fürs Lesen und wünsche euch noch einen wunderschönen Tag. Bis zum nächsten Mal in ungefähr einem dreiviertel Jahr dann. 😁

Bildquellen:
Cover der deutschen Ausgabe des ersten Buches [von Amazon]